Mittelmeer – Aida Kreuzfahrt

 "Die Presse" 2008

Wo ist Lohner?

 

Irgendjemand behauptet, Helmuth Lohner sei auf diesem Schiff. Und zwar gemeinsam mit Elisabeth Gürtler. Außerdem wird mir erklärt, die beiden seien ein Paar, eine Neuigkeit, die mich verblüfft. Andererseits – was geht mich das eigentlich an? Sie dürfen ja eh. Ich nehme mir vor, zukünftig mehr „News“ zu lesen, um die Bildungslücken zu stopfen. Und ich nehme mir vor, Ausschau nach Helmuth Lohner zu halten. So groß kann dieses Schiff ja nicht sein, dass mir Lohner nicht früher oder später unter die Augen gerät.

Doch die AIDAdiva ist tatsächlich riesig. Ein gigantischer Turm von Babel, 14 Stockwerke hoch, weitläufige Pool-Landschaft am Sonnendeck, 3-stöckiges Amphitheater, mehrere Ebenen Restaurants und Bars. Und da die Diva ein „Clubschiff“ ist, hat auch immer eines der Lokale gerade offen, und man kann sich auf den Teller heben, was einen freut. Äußerst angenehm: es gibt 20 Sorten frischen Tee mit Sieb, dazu Bier zum Selbstzapfen, und Tischwein in Rot und Weiß. Offenbar sind wenig Skandinavier an Bord, denn die würden ein freies Alkohol-System rasch zum Kollaps bringen, und sich selbst gleich dazu.

Dabei sind ziemlich viele Nationalitäten vertreten, „Leute aus allen fünf Kontinenten“, erzählt Michael Ungerer, der hier Manager ist, „und das ist schon was besonderes, auch für uns, denn Kreuzfahrtsschiffe sind normalerweise von der Nationalität her recht einseitig bevölkert.“ Dass es hier anders ist, liegt an den Wiener Philharmonikern, denn die sind ebenfalls an Bord. Nicht nur als Gäste – sie bilden das Rahmenprogramm einer einzigartigen Kulturreise, die unter dem Motto „Meer und Musik“ läuft.

Die Frau an der Rezeption begrüßt mit „Guten Tag!“ „Deutsch sprechen?“, sagt der Wiener in anerkennendem Tonfall, „sehr gut!“ 9 Tage lang ist die AIDAdiva mit knapp 1.800 Passagieren im Mittelmeer unterwegs (Mallorca – Malta – Sizilien – Rom – Livorno – Cannes – Barcelona – Mallorca), und an den Küsten finden nicht nur Landbesichtigungen statt, sondern auch Konzerte. Wer glaubt, die Philharmoniker schicken zu solchen Veranstaltungen ihre zweite Garnitur, der irrt gewaltig. Zubin Metha ist der Dirigent, als Klavier-Solist hat man Superstar Lang Lang dabei. Die Philharmoniker sind ja auch nicht blöd. Die vergnügen sich gern einmal an Bord eines Luxusliners, sitzen ja schon lange genug in staubigen Konzertproben. Wahrscheinlich hat Helmuth Lohner ähnliche Phantasien gehabt, als er die Reise buchte. Ich kann es nicht überprüfen, ich durchkämme die Pizzeria auf Deck 10, aber ich sehe den Lohner einfach nicht. Vielleicht mag er keine Pizza.

 

Erstes großes Konzert in Florenz. Die AIDA liegt in Livorno, das Publikum wird mit 30 Bussen ins Teatro Comunale transportiert. Zuerst spielen die Philharmoniker Carl Maria von Weber und Schuberts Unvollendete, danach wird das Klavier in die Mitte geschoben und Lang Lang widmet sich Chopin. Lang Lang wirkt beim Spielen (vermutlich ist jeder Ton perfekt) wie ein pathetischer Gottessohn, doch beim Verbeugen, mein Gott, da ist er plötzlich menschlich. Man möchte ihm über die Wuschelhaare streicheln und ihm eventuell ein paar neue Spiele für seine neue Konsole kaufen, aber wahrscheinlich hat er gar keine Playstation mehr, man unterschätzt junge Stars ohnehin total, und diese blöden Phantasien basieren darauf, dass man in diesem Alter als persönliche kulturelle Höchstleistung bestenfalls im Chelsea fünf Bier trinken hat können.

Das Publikum ist sichtlich gemischt, da sind alle dabei: klassisches Salzburger Festspielpublikum, aber genauso Kärnten-Krone-Leser, die ihre Reise bei einem Gewinnspiel gewonnen haben oder jedenfalls so aussehen, als hätten sie. Im Konzertsaal prallen diese Welten auseinander. Wo die einen begeistert an der falschen Stelle klatschen, erhebt sich bei den anderen ein mürrisches Zischen und Grummeln: Wissen und Macht. Bei der Rückfahrt in den Bussen sind alle wieder gleich, höchstens an den Gesprächsthemen zu unterscheiden. Die einen reden über Kunst, die anderen denken bereits an Morgen. Einer erklärt seinen Begleiterinnen: „Morgen schauen wir in die Einkaufsmeile in Cannes ... ist alles so billig geworden, die haben Ausverkauf“, erstaunte bis erfreute Blicke, dann Gelächter, „na, des is a Witz gewesen!“

An Bord wendet man sich den aktuellen Themen zu. Ich sitze im „Weite Welt“-Restaurant und lasse die Blicke schweifen – kein Lohner weit und breit – da setzen sich zwei zufriedene Deutsche an den Tisch: „Haben Sie schon gehört, die Deutschen stehen im Finale!“ Und die Stars, die uns umgeben, befruchten auch die Phantasie: „Hast gesehen, der Zubin geht persönlich zum Frühstücksbuffet, ganz normal, wie du und ich! So ein bescheidener Mann.“ – „Was soll er denn anderes tun? Hat ja Hunger.“

Das Frühstücksbuffet auf der AIDAdiva ist ein vollendetes Kunstprodukt. Eine amerikanische Mutter am Buffet: „I love this!“ Ihr Kind, 5 Jahre, antwortet verblüfft bis ungläubig: “Do you love ALL of it?” Es gibt nämlich wirklich alles. Auch wenn sich, wenn man genauer hinsieht, erweist, dass die Passagiere an ihren kulturellen Angewohnheiten haften: die Kärnten-Krone-Leserinnen essen Semmeln mit Marmelade, Schinken, Eierspeis, ihre Männer holen sich noch Speck und Würste; die Festspielgäste kommen nicht ohne frisch gepressten Orangensaft aus; die Philharmoniker speisen international; die Japanerinnen Misosuppe mit Tofu; die französischen Gäste verstopfen Käsebuffet; und wer beim Konzert auch nur den Hauch eines Ethno-Tools an sich trug, bereitet sich jetzt, ganz wie daheim, ein Müsli zu. Ich frag mich nur eines: Geht auch der Lohner persönlich und ganz bescheiden zum Buffet? Jedenfalls nicht zu meiner Uhrzeit.

 

Jetzt kommt man natürlich ins Gespräch, nein, nicht mit Lohner, aber doch mit Österreichern. Die sind alle glücklich auf der AIDAdiva, aber weil sie eben Österreicher sind, haben sie viel zu kritisieren. Schließlich sind sie mit eigenem Geld unterwegs. Monolog einer Dame: „Um die Doppelkabine alleine zu kriegen, musste ich 90 Prozent des Vollpreises aufzahlen – stellen Sie sich vor, 90 Prozent! Unglaublicher Aufschlag! Ich kann ja nichts dafür, dass ich alleine reisen muss, seit mein Mann verstorben ist. Ich habe ihn ja nicht umgebracht, Gott verhüte! Ist eine tolle Reise, aber das Preis-Leistungsverhältnis für Alleinstehende stimmt nicht.“ Über Geld wird dauernd gesprochen, weil eine solche Reise nicht gratis ist. Es geht das Gerücht um, dass die guten Außenkabinen in letzter Minute billig verkauft worden seien. Aber wenn auf der AIDA geschimpft wird, dann immer über die Preise, nie über das Service.

Der Großteil der Besatzung kommt von den Philippinen, zum Beispiel Walden, der arbeitet gerne als Elektriker, obwohl, für ihn ist es „schon hart, 8 Monate weg von daheim zu sein. Es ist ein super Schiff, und man verdient europäisch, lieber hätte ich allerdings einen solchen Job auf den Philippinen. Nur gibt es den dort nicht.“ Die Philippiner sind auch im gut ausgebildeten Service in der Mehrzahl, „aber unten, bei der Wäsche, das sind die Chinesen“, sagt Walden, „wahrscheinlich können Chinesen besser mit Wäsche umgehen. Dazu gibt’s noch ein paar Indonesier, und einige Inder. Eigentlich arbeiten wir alle gern hier.“

Die Besatzung hat ihr eigenes Deck, viele von ihnen wohnen in Einzelkabinen. Aber natürlich ist es eine andere Welt als jene da oben, in der gelegentlich seltsame Dinge passieren: der Taktstock von Zubin Metha, mit dem er in Florenz dirigiert hat (Metha korrigiert persönlich „mit dem ich VERMUTLICH in Florenz dirigiert habe, die geben mir diese Stöckchen in die Hand und ich arbeite damit“), wird für gute Zwecke versteigert – Rufpreis 500 Euro. Die Angebote gehen zügig in Hunderterschritten nach oben, und das Hölzchen erreicht 8.300 Euro! Dazu gibt es einen Kuss von Zubin Metha (der vorher allerdings bekannt gab, dieses Angebot gelte ausschließlich für Damen), für die glückliche Siegerin.

Letzte Station, Barcelona, Galakonzert im „L´Auditori“: zuerst die Freischütz-Ouvertüre, dann Chopin mit Lang Lang, und nach der Pause die Fünfte von Beethoven. Ich halte überall Ausschau, echt viele Leute hier. Aber zum Teufel, Helmuth Lohner ist weiterhin nirgends zu sehen!